Trolltunga - Der Weg ist das Ziel

Nach ein paar regenreichen Tagen sagte der Wetterbericht einen trockenen sonnigen Tag voraus. Diesen wollte ich für meine Wanderung zur Trolltunga nutzen. Die Tour sollte laut Wanderführer 10h hin und zurück in Anspruch nehmen und möglichst bei gutem Wetter angetreten werden. Dies kann oben in den Bergen jedoch auch recht schnell umschlagen. Zu bedenken ist ebenfalls, dass es zu dieser Jahreszeit oben auf 1100m ziemlich kühl sein kann. Diese Erfahrung hatte ich ja bereits auf meiner Radtour durch die Gletscher gemacht. Daher entschied ich mich gegen eine Nacht im Zelt in den Bergen und wollte noch vor Sonnenaufgang starten.

Die Nacht zuvor verbrachten wir im Lofthus Camping, was circa 1 Fahrstunde vom Parkplatz und dem Startpunkt der Wanderung entfernt war.
Um 3:45 Uhr klingelte mein Wecker. Ich war jedoch längst wach. Die Aufregung raubte mir den Schlaf. Nach einer kurzen Katzenwäsche saß ich auch schon im Auto und frühstückte auf dem Weg ein paar Milchbrötchen. Die Nervosität wurde immer größer. Immer wieder kamen mir die Warnhinweise der Touristeninformation in den Sinn „DIE WANDERUNG IST LANG UND SEHR ANSTRENGEND“ „Jedes Jahr gibt es mehrere Such- und Rettungsaktionen“ „Nehmen Sie unbedingt ausreichend Essen und Trinken mit“ Schnell schmiss ich noch eine Handvoll Energieriegel in meinen Rucksack und steckte mir ein weiteres Milchbrötchen in den Mund. 'ausreichend Essen und Trinken' überlegte ich...es waren doch nur 10h...aber was wenn ich vom Weg abkam und nicht mehr zurück fand...was wenn ich länger da oben verharren musste bis mich jemand fand...was wenn das Wetter umschlägt und ich den Weg vor lauter Nebel nicht mehr sehen kann..was wenn ich mir vielleicht zu viel zumutete und die Tour körperlich gar nicht schaffen kann...wenn meine Kräfte versagen würden....
Im Radio lief „Young hearts run free“ von Candi Station. 'Hören die Norweger eigentlich alle nur alte Lieder?!' versuchte ich mich abzulenken. Doch das half nicht viel. Schnell kehrten meine Gedanken zum bevorstehenden Trip zurück. Ob bereits andere Wanderer unterwegs waren? Was würde ich nur drum geben als erste am Morgen die Trolltunga zu erreichen und den Sonnenaufgang zu sehen. Doch dafür war ich viel zu spät dran. Um 5 Uhr erreichte ich den Hauptparkplatz. Es gibt noch einen weiteren Parkplatz weiter oben. Dieser ist nur für ein paar Autos begrenzt und die ersten standen bereits in der Schlange. Außerdem hörte ich zuvor dass der Weg nach oben schwer zu befahren ist. Er sollte nur mit Allradautos benutzt werden, die eine maximale Höhe von 2m hatten. Es standen bereits die ersten Autos in der Schlange zum oberen Parkplatz, welcher jedoch erst um 6 Uhr öffnete. So lange wollte ich nicht warten. Voller Adrenalin und etwas beruhigt, aber auch überrascht wie viele andere Wanderer bereits hier waren oder grade anreisten wollte ich unbedingt sofort starten. Das hieß jedoch, dass ich die 4km Serpentinen zu Fuß hoch laufen musste um bis zum eigentlichen Startpunkt der Wanderung zu erlangen. Ich wusste dass mich auf der Trolltunga 2 Grad Celsius erwarten würden und war dementsprechend warm angezogen, was ich nach den 4km bereits bereute. Nach einer Stunde erreichte ich nun den 'zweiten' Startpunkt. Niemand war vor mir und voller Neugier ging ich den mit Eisenstangen markierten Weg entlang. Die Wanderwege in Norwegen sind meist mit einem roten „T“ markiert, denn manchmal ist der naturbelassene Pfad recht schwer zu erkennen. Schon nach ein paar Hundert Metern hatte ich bereits leichte Orientierungsprobleme. Ich konnte den Weg nicht mehr finden und auch keine Markierung. Drehte mich zweimal im Kreis und sah hinter mir einen (scheinbar) Norweger mit seinem Hund kommen. Dieser sah meine Verwirrung und zeigte mir die richtige Richtung „I think it's this way“ rief er mir zu und dann sah ich auch die Eisenstangen wieder. Das Spielchen machten wir noch zwei weitere Male. Hinter ihm hörte ich weitere Stimmen und als ich mich umdrehte sah ich eine Truppe von gut 20 weiteren Wanderern. 'Oh nein' dachte ich. Ich will unbedingt vor ihnen oben ankommen. Vielleicht würde ich es ohne Pause bis zum Ziel schaffen. Doch nachdem der erste Kilometer auf einer seichten Plattform entlang führte folgte nun ein sehr anstrengender und steiler Anstieg auf 200 weiteren Höhenmeter. Ich gab mein bestes so schnell wie möglich hoch zu kommen, doch meine Kräfte ließen schnell nach. Es wurde steiler und steiler. Schon bald überholte mich der Norweger mit seinem Hund (Verdammt, wer würde mich nun wieder auf den richtigen Pfad führen) und auch die restliche Truppe. Am Gipfel des Berges legten diese jedoch ihre Frühstückspause ein, sodass ich sie und auch den Norweger schnell wieder einholen konnte. Nachdem wir uns zwei weitere Male gegenseitig überholten entschieden der Norweger und ich, die restlichen 8km zur Trolltunga gemeinsam zurück zu legen. Johnny und Fredrik (der Dalmatiner) erwiesen sich als eine sehr hilfreiche und angenehme Wanderbegleitung. Ich war froh nun tatsächlich noch einen echten Norweger kennen zu lernen und wir hatten ausreichend Zeit uns über Gott und die Welt zu unterhalten. So konnte ich mein Englisch auch gleich noch etwas aufpolieren. Nach dem wirklich steilen und anstrengenden ersten Anstieg führte der Weg nur noch durch relativ seichtes Gebiet, entlang von kleinen Bächen und Gletscherseen überquerten wir einen Gletscher nach dem anderen.



Nahe der Trolltunga konnten wir einige Zelte erspähen. Es war mittlerweile recht frisch geworden. Die Zelter hatten definitiv meinen Respekt bei den Temperaturen hier zu schlafen und vor allem das ganze Zeug hier rauf geschleppt zu haben. Gegen 9:30 Uhr erreichten wir den Felsvorsprung, bei dem sich bereits erschreckend viele Menschen angesammelt hatten. Mehr noch als bei meiner ersten Wanderung auf dem Preikestolen. Es war bitterkalt. Meine schweißnassen Klamotten ließen mich schnell stark frieren. Doch natürlich wollten auch wir unser Foto auf dem Felsen schießen. Johnny stellte sich mit Fredrik in die Schlange während ich am Fotografenspot auf ihn wartete. Als er an der Reihe war, schoss ich seine Fotos und wir tauschten fix, sodass ich mich nicht erneut hinten anstellen musste. Noch ein Pluspunkt, wenn man die Wanderung in Begleitung durchführt.

Lange hielten wir uns aufgrund der Kälte nicht an diesem Ort auf. In der Nähe sollte noch eine weitere, nicht ganz so begehrte Klippe sein, der kleine Preikestolen! Dieser war jedoch nicht weiter ausgeschildert. Mit Hilfe von Johnnys Karte erkundeten wir die weiteren Pfade und fanden tatsächlich einige wunderschöne Spots. Welcher nun wirklich der kleine Preikestolen war konnten wir leider nicht ausmachen, aber das war eigentlich auch unwichtig, denn die Aussichten die wir von den dortigen Klippen hatten war einfach nur spektakulär. Die Sonne stand mittlerweile im Zenit und wärmte uns wieder auf. Das Wasser des Fjordes glänzte in diesem Licht in einem wunderschönen Türkisblau. Links und rechts davon ragten diese gewaltigen Felsen aus dem Boden. Ich versuchte mir dieses Bild im Kopf einzumeißeln. Es war viel zu faszinierend als dass es echt sein konnte. Am liebsten hätte ich meinen Blick nie wieder abgewandt. Selten habe ich so etwas schönes gesehen. Ich war wie berauscht, sprang gefährlich nah auf die Klippen, bis Johnny mich schließlich zurück pfiff und wir gegen 11 Uhr den Rückweg antraten.

Der kleine Preikestolen!?



Bei bestem Wetter konnten wir auf dem Rückweg immer wieder unseren Blick in die Umgebung schweifen lassen. Während heute früh noch alles im Nebel versteckt war konnte man nun die Landschaft in ihrer vollen Pracht bewundern. Bei einigen Strecken musste ich immer wieder prüfen ob wir wirklich auf dem richtigen Weg waren, da er auf dem Hinweg völlig anders aussah.




Nach den ersten 8km Rückweg schmerzten mir schon ordentlich die Beine und Füße. Auch musste ich mit Erschrecken feststellen, dass meine beiden Hände komplett angeschwollen waren und ich die Finger kaum noch krümmen konnte. Johnny beruhigte mich und meinte, dass dies eine normale Nebenwirkung von langen Wanderungen sein kann. Nun folgte der Abschnitt mit dem steilen recht langen ursprünglichen Anstieg bergab. Dies war nicht unbedingt leichter als bergauf, denn die Kräfte waren längst verbraucht. Eine richtige Essenspause hatten wir ebenfalls nicht eingelegt. Meine Knie schmerzten und ich spürte wie sich bereits Blasen an meinen Füßen gebildet hatten. Jeder weitere Schritt bergab wurde zur reinsten Qual. Nach einer weiteren Stunde hatten wir auch den letzten Part geschafft und ich hatte Glück, denn Johnny hatte sein Auto auf dem oberen Parkplatz geparkt und bot an mich die letzten 4km zu meinem Auto mitzunehmen. Ein wenig stolz, aber auch hundemüde und erschöpft hatten wir die Wanderung nach 8,5h hinter uns gebracht.

Mein Fazit zur Trolltunga: Hier ist eindeutig der Weg das Ziel! Ja, der erste Anstieg ist sehr sehr anstrengend, aber machbar. Ich hatte mir die Tour noch wesentlich schlimmer vorgestellt. Aber ich bin auch ein Typ Mensch, der gerne an seine Grenzen und darüber hinaus geht. Ich kann mir gut vorstellen, dass andere weniger Spaß daran finden könnten. An der Trolltunga hat man kaum Zeit die Aussicht zu genießen, da lauter Menschenmassen um einen herum die Atmosphäre kaputt machen. Auf dem Felsvorsprung an sich nimmt man die Umgebung auch nicht wirklich war, da man erst einmal eine Stunde anstehen muss um überhaupt rauf zu kommen und dann nur kurz für ein Foto posiert um dann wieder Platz für die nächsten zu machen. Wesentlich besser hat mir der kleine Preikestolen gefallen, der sich circa 1km weiter hinten befindet und von nur wenigen Menschen aufgesucht wird. Trotzdem freue ich mich über das Erlebnis und natürlich mein ganz persönliches Trolltungafoto ;-)

Kommentare

  1. Man fiebert beim Lesen richtig mit, und ich spürte richtig wie kalt dir gewesen sein muss:) Deine Schreibweise begeistert mit

    Liebe Grüße Tommy

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  2. Oh ja, Maria... Ich Stimme Tommy zu... Du hast einen tollen Stil. Ich möchte mehr lesen �� LG Isa

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